Die Bedeutung von Bushido

 

 Das gleichname Buch von Inazo Nitobe brachte Bushido in den Westen

 

 

Wer bei Bushido nicht sofort an Clankriminalität und umstrittene Musik denkt ist wahrscheinlich in Kombination mit Buddhismus oder Kampfkunst auf den Begriff gestoßen. Spätestens seit dem gleichnamigen Buch von Inazo Nitobe ist diese Art zu Leben auch in unser westliches Bewusstsein gerückt. Bushido gilt als die ureigene Seele Japans und schlägt sich im Verhalten der Japaner bis heute nieder. Wer Bushido lebte, wörtlich den Weg des Samurai, der galt seinerzeit als tugendhaft und diszipliniert, loyal und im Geiste unbesiegbar.

In der heutigen Zeit erfährt der Begriff sogar eine Art Glorifizierung durch den Hauch an Mystik der ihm anhaftet. Doch so edel und charmant der Begriff heute verwendet werden mag - in der Zeit der Aristokratie diente Bushido dem eiskalten Kalkül der Herrschenden und zwang die Samurai in einen Kreislauf aus Gehorsam oder Vernichtung aus dem auszubrechen nahezu unmöglich war.

Diese Diskrepanz zwischen Mythos und Realität wollen wir heute beleuchten und uns auf die Spuren nach einer Antwort machen: was bedeutet Bushido wirklich und wie hängt der Begriff mit Karate zusammen?

 

 

 

Woher stammt der Begriff Bushido?

 

Wenn man von Bushido spricht kommt man nicht um die legendären Samurai und ihre Entstehung herum.

Was in Europa der Ritterstand war, das waren in Japan die Samurai, im heutigen Sinne Elitesoldaten die einem bestimmten Zweck dienten.

In Europa war es realistisch betrachtet nur möglich mit enstprechenden finanziellen Mitteln in den Ritterstand erhoben zu werden. Man brauchte ein (sehr teures) Schlachtross, Knappen, Waffen, Rüstung, ein Gefolge und so weiter und so fort. Die Samurai setzen sich in ihren Anfängen jedoch hauptsächlich aus armen Bauern zusammen und wurden erst später in den Adelsstand erhoben. So war es theoretisch jedem möglich ein Samurai zu werden. Doch der Reihe nach:

 

Die Anfänge der Samuai

 

Die Kaiserliche Armee Japans bestand im 8. und 9. Jahrhundert hauptsächlich aus Wehrpflichtigen. Nur sehr wenige Eliteoffiziere hatten diese Laufbahn in der Kaiserlichen Armee aus freien Stücken gewählt, der Rest waren Zwangsrekruten die sich zu allem Überfluss auch noch selbst versorgen und bewaffnen mussten. Entsprechend niedrig fiel die Kampfkraft und Moral dieser chaotischen Truppe aus.

Ab circa 780 tobte in Japan ein blutiger Bürgerkrieg zwischen den Yamato-Japanern und den Emishi, einer urtümlich lebenden Volksgruppe. Die Yamato-Japaner unter Kaiser Kammu hatten schwere Verluste unter den Zwangrekruten zu verzeichnen, wohingegen die freiwilligen Kämpfer sich im Verhältnis gut schlugen. Deshalb dachte Kaiser Kammu um, schaffte die Wehrpflicht im Jahre 792 ab und begründete ein modernes Freiwilligenheer - der Kriegerstand in Form der Bushi war geboren.

 

Dies stellte das Kaiserreich jedoch vor neue Herausforderungen. Ein stehendes Heer dass nur aus Freiwilligen bestand, wollte nun auch bezahlt werden. Entsprechend klein fiel im Vergleich zu vorangegangen Epochen die Größe dieser Armee aus - und entsprechend schwierig wurde es mit ihr das ganze Land zu beschützen.

Provinzielle Großbauern beschlossen deshalb die Sache selbst in die Hand zu nehmen und bewaffneten sich um ihr Hab und Gut zu verteidigen. Dabei waren sie so erfolgreich dass dies die Aufmerksamkeit des Kaisers auf sich zog der diese fortan als persönliche Leibgarde in den Söldnerdienst stellte.

 

Die Samurai ab 1150

 

Fast 400 Jahre dienten diese Saburei, die Ur-Samurai, als Söldner unter dem japanischen Kaiser ehe es zu ihrem Aufstieg kam. Als direkte Folge der Heiji-Rebellion übernahm der Taira Adel die Regierung am Kaiserhof. Dem Kaiser selbst kam ab sofort nur mehr eine zeremonielle Rolle zu.

Die Geburtsstunde der Militäraristokratie.

Wer früher als armer Bauer zu den Waffen gegriffen hatte um Haus und Hof in der Povinz zu verteidigen war mit einem Schlag in den regierenden Adel Japans aufgestiegen. Bis in das späte 13. Jahrhundert führte man so als mehr oder weniger geeintes Japan einen Verteidigungskrieg gegen die gerade einfallenden Mongolen unter der Führung Kublai Khans, einem Enkel Dschingis Khans. Nach dem Sieg über den Feind gab es jedoch keine neu eroberten Ländereien und Titel unter den siegreichen Japanern zu verteilen und die Wirtschaft im Land war schwer angeschlagen.

Nicht mehr alle Samurai konnten in ihren Bedürfnissen befriedigt werden, und nur mehr verdiente Lehnsherren, genannt Daimyo, wurden in den Adelsstand befördert. Die "niederen" Samurai dienten fortan unter den adeligen Lehnsherren die ihre eigenen Ländereien und Provinzen verwalteten.

Doch anstatt damit die aufkeimenden Unruhen zu befrieden handelte es sich dabei um Zunder für einen lange schwellenden Konflikt. Gab es im Außen keinen gemeinsamen Feind mehr, richteten sich die Waffen wieder in das eigenen Land. Unzählige Kriegsherren kämpften fortan um Einfluss und Macht in den Provinzen und am Kaiserlichen Hof.

 

 

 

Die Drei Reichseiniger und die Gründun des Karate-Do

 

Was folgte waren 300 Jahre Bürgerkrieg in der Provinz gegen Provinz und Bruder gegen Bruder kämpfte. Erst durch das Wirken der sogenannten Drei Reichseiniger, drei einflussreichen Generälen, wurde Japan geeint. Die Edo Periode begann und mit ihr die Schreckensherrschaft der Samurai. Der Status als Samurai wurde sich nun nicht mehr im Kampf erarbeitet sondern wurde nur mehr vererbt, und die adeligen Samurai waren die Einzigen im Land die überhaupt noch eine Waffe tragen durften.

Wer als Bürgerlicher einen der Ihren auch nur schief ansah oder den Anschein erweckte respektlos zu sein, durfte vom Samurai an Ort und Stelle getötet werden. Dieses Recht nannte man Kiri-sute gomen welches theoretisch strengen Regeln folgte. Praktisch hatte der Samurai wenig zu befürchten da der Getötete schließlich keinerlei Möglichkeit mehr hatte seine Sicht der Dinge darzulegen und der Samurai mit seinem Diener immer einen gefälligen Zeugen bei sich hatte.

 

Auf dieses Recht geht auch die Gründung des Karate-Do zurück, das sich in den Anfängen als eine waffenlose Selbstverteidigung gegen die schwer bewaffneten und übergriffigen Samurai verstand. Karate bedeutet nämlich übersetzt nichts anderes als "leere Hand" was man auch auf die Waffenlosigkeit umlegen kann.

Die bewaffneten Samurai waren den damalig entwaffneten Bauern haushoch überlegen. Teilweise gab es in den Dörfern nur mehr ein einziges Messer welches an einer zentralen Stelle genutzt werden konnte um Gemüse zu schneiden oder Fisch ausznehmen. Also musste es im Fall der Fälle schnell gehen, daher kommt im Karate auch der Ausspruch "töten mit einem Schlag". Was heute aus der Zeit gefallen scheint ergibt im Kontext mit den damaligen Umständen Sinn. Schnell bekamen die Samurai Wind von dieser neuen für sie so gefährlichen Kampfkunst und verboten sie. Niemand durfte mehr offen Karate praktizieren oder lehren, und wer es dennoch tat musste sogar mit der Todesstrafe rechnen.

Doch auch dafür kannte man Abhilfe - Kihon & Kata. Stand der Bauer auf dem Feld und übte z.b. Morote Uke konnte er jedem Samurai wunderbar erklären er übe doch nur die Sense zu schwingen. Niemand konnte dagegen etwas sinniges erwidern. 

So wurde Karate eine geheime Kunst der Rebellion gegen ein autokratisches System. Zumeist hatten die Meister in jener Zeit auch nur einen einzigen Schüler. Dojos mit mehreren hundert Karateka waren gänzlich unbekannt.

Auf jene Zeit geht auch die Gründung des Kobudo zurück welches sich heute noch seltsam anmutenden Waffen wie einem Paddel bedient - aber damals hatte man eben nichts anderes um sich zu behaupten.

Und auch die Samurai begannen sich gegen Karate im waffenlosen Kampf zu schulen und gründeten das Jiu-Jitsu - die Urversion des Judo.

 

 

 

Das Ende der Samurai

 

1867 leitete die erneute Machtergreifung des Kaisers ein, der seit guten 600 Jahren nur mehr eine Statistenrolle innehatte. Nach der Niederschlagung letzter Samuraiaufstände durch die wiedereigeführte Wehrpflichtigen-Armee mit ihren seinerzeit hoch entwickelten Feuerwaffen, wurde der Samuraistand verboten und eine tausendjährige Ära ging zuende.

 

 

 

Was bedeutet nun Bushido?

 

Nun da wir wissen wie die Geschichte der Samurai verlief können wir versuchen den schwammigen Begriff des Bushido zu enträtseln.

 

Durch den kometenhaften Aufstieg der Samurai von einfachen Bauern zur führenden Oberschicht Japans war es nach der Machtübernahme unumgänglich ein neues Wertesystem zu erschaffen. Da Macht jedoch ungern geteilt wurde brauchte es ein System das den Untergebenen auf seine Plätze verwies, ihn aber dennoch hoch genug Leben ließ um keine Revolution zu riskieren. So wurde Bushido aus der Taufe gehoben - der Weg des Kriegers.

Individualität wurde damit de facto abgeschafft, nur wer loyal und uneigennützig dem eigenen Herren diente ohne Befehle zu hinterfragen war ein wahrer Samurai der dem Weg folgte - so die etwas härter formulierte Prämisse. Diese Gehirnwäsche funktionierte erstaunlich gut, zumal sie dem Untergebenen einen gewissen Wohlstand und Macht über den Pöbel versprach.

Während die wahre Macht bei den Daimyo lag, begnügten sich die untergebenen Samurai mit ihrer Rolle als Diener. Und diese Dienerschaft war geprägt von unbeirrbarer Loyalität die nur mehr schwer von Manie zu unterscheiden war. Selbst der rituelle Selbstmord, genannt Seppuku, war Teil dieser Loyalität. Verlangte die Ehre oder der eigene Herr es, griff der Samurai in einer strengen Zeremonie zum Wakizashi und öffnete sich selbst die Bauchhöhle um sich zu Entleiben. Techniken dieses archaischen Rituals findet man noch heute in Katas des Iaido.

So ging auch die leider wahre Geschichte der 47 Ronin in die japanische Historie ein als diese in Ungnade gefallenen Samurai den erzwungenen Seppuku Tod ihres Herren rächten, nur damit am Ende 46 von ihnen ebenfalls zu Seppuku verurteilt wurden - jedoch wird ihr Opfertod nicht als mahnendes Beispiel eines totalitären Systems, sondern als Zeichen wahren Mutes und bedinungsloser Loyalität gedeutet.

Dies ist am Ende leider die wahre Quintessenz von Bushido.

Ein Begriff der mit Ehre und Tapferkeit gespickt, doch nichts anderes war als ein Instrument der Mächtigen um uneingeschränkte Kontrolle über ihre Untergeben auszuüben.

Eine Kontrolle die bis in die Familien reichte und generationenübergreifende Sippenhaftung praktizierte, die erzwungenen Selbstmord glorifizierte und einigen Wenigen Macht verlieh, die damit das eigenen Volk unterdrückten.

 

Leider würde ich gerne romantischer über Bushido urteilen, aber betrachtet man es nüchtern kommt man zweifellos zu einem ähnlichen Urteil.

Der wahre Weg des Kriegers war es schon damals sich diesem System der Ungerechtigkeit entgegenzustellen wie viele der ersten Karateka es auch taten und dafür einen hohen Preis bezahlten.

 

 

 

Also gibt es keinen Weg des Kriegers?

 

Ich denke doch dass es auch in der heutigen Zeit möglich ist die Ideale zu Leben für die Bushido eigentlich steht:

 

  1. Gi (義): Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Rechtlichkeit

  2. Yu (勇): Mut

  3. Jin (仁): Menschlichkeit

  4. Rei (礼): Einhaltung der Etikette, Höflichkeit

  5. Makoto (誠) oder Shin (真): Wahrheit, Wahrhaftigkeit, Unverfälschtheit

  6. Meiyo (名誉): Ehrbewusstsein

  7. Chūgi (忠義), auch Chū (忠): Loyalität, Pflichtbewusstsein, Treue

 

Es braucht dringender als je zuvor Menschen mit diesen Eigenschaften.

Denn am Ende ist Bushido doch nur das, was wir Menschen daraus machen. Die finsteren Tage in denen es zur Unterdrückung der Massen genutzt wurde sind zuende, und nun ist es an jenen die Kampfkunst praktizieren einen neuen Weg des Kriegers zu definieren.

Ein Weg der geprägt ist von den guten Idealen die Bushido eigentlich verkörpert.

Also geht am Ende jeder von uns seinen eigenen Bushido, ob zum Guten oder zum Schlechten muss jeder für sich selbst entscheiden, oder um Friedrich Nietzsche zu zitieren:

 

"Das ist mein Weg, welches ist dein Weg? DEN Weg gibt es nicht."

 

 

 

Bücher zum Thema:

 

- Bushido - Die Seele Japans von Inazo Nitobé

- Das Buch der fünf Ringe von Miyamoto Musashi

 

Filme/Serien zum Thema:

 

- Zeitalter der Samurai: Kampf um Japan auf Netflix

- 47 Ronin mit Keanu Reeves